Mittwoch, 10. Juli 2013

492, Frühjahr - Sir Rhian

In jener Zeit, als Uther Pendragon König und Beherrscher von ganz England war, gab es einen mächtigen Herzog in Cornwall, der lange gegen ihn Krieg führte. Das war der Herzog von Tintagil. Eines Tages ließ König Uther diesen Herzog zu sich rufen und befahl ihm, sein Weib mitzubringen, denn sie galt als eine sehr schöne und kluge Frau. Ihr Name war Igraine. [... Er] forderte ihn auf, sich vorzubereiten, auszurüsten und zu versorgen, denn innerhalb von vierzig Tagen würde er ihn selbst aus seiner stärksten Burg herausholen. Als der Herzog diesen Drohspruch erhielt, begann er sogleich, zwei seiner festesten Burgen, Tintagil und Terrabil, herzurichten und auszustatten. [...] Dann rückte Uther in großer Eile mit einer starken Streitmacht an, baute viele Zelte auf und begann, die Burg Terrabil zu belagern. Es entspann sich ein harter Kampf, und beide Seiten verloren viele Krieger. [...] Der Herzog von Tintagil erspähte, wie der König aus seinem Heerlager vor Terrabil wegritt, und er machte daher in der Nacht durch einen geheimen Gang einen Ausfall aus seiner Burg, um die Schar des Königs anzugreifen. Doch bei diesem Ausfall wurde der Herzog selber erschlagen. [...] Dann baten alle Barone einmütig den König, doch Frieden mit Lady Igraine zu schließen, und der König schenkte ihren Bitten Gehör [...]. [Malory I., S. 19-20]
Der Krieg mit Herzog Gorlois von Cornwall ist beendet. Der Herzog tot, sein Weib Igraine hat das Knie vor König Uther gebeugt und in eine Ehe mit dem König eingewilligt.

Sir Rhian hatte mit dem königlichen Haushalt in Terrabil überwintert und war nun auf dem Weg zum Hochzeitsfest. Doch etwas sagte dem bereits ergrauten Ritter, dass auch diese Hochzeit keinen dauerhaften Frieden mit Cornwall bringen würde - die kornischen Stämme sind wild und kaum zu beherrschen und König Idres, der den Süden des Landes beherrscht war ebenfalls kein Freund von Uther [Erfolg in Suspicious und in Intrigue]. Wenn Uther mit seinen Rittern wieder abzieht, dann lässt er besser eine starke Garnison zurück. Nicht, dass er sich das wirklich leisten kann, mit den Sachsen die das Land im Osten bedrohen.

"Worüber brütet ihr denn schon den ganzen Weg, Onkel?" Sir Ellec, Sohn seines ältesten Bruders Riderch und Anführer seiner kleinen Garde, war unbemerkt zu ihm aufgeschlossen.

"Die Hochzeit. Die Zukunft. Die Sachsen. Gibt es anderes worüber man in diesen Jahren brüten kann?"

"Die Männer freuen sich auf das Fest und schließen Wetten darüber ab, wie der König euch für euren Einsatz bei der Belagerung von Terrabil belohnen wird." Ellec war ein guter Anführer. Trotz seines Standes hatte er immer ein offenes Ohr für die Nöte und Sorgen von Knappen und Gardisten.

"Der König hat mich mehr als ausreichend belohnt, Ellec. Meine Truhen sind voll mit Plunder und ich habe auf den Schlachtfeldern mehr Pferde erbeutet, als selbst Gwyn zuschanden reiten könnte. Reicht das den Männern nicht?"

"An seiner Hochzeit und nach einem gewonnenen Krieg wird König Uther nicht viel anderes übrig bleiben, als sein Gefolge zu beschenken. Es ist Sitte."

"Wir werden sehen. Vielleicht vermacht mir der König ja einen Garderitter der nicht ganz so viel plappert wie ihr, Neffe." Damit zog Sir Rhian seinen rostroten Legionärsmantel um seine Schultern und wandte seinen Blick der mit blauen Blüten übersähten Landschaft des Moores zu.

"Was für eine eigenartige Landschaft. Es heißt, dass dort eine riesige Katze mit gelbem Fell und dunklen Flecken darauf in diesem Moor lebt." [Erfolg in Folklore]

"Vielleicht finden wir die Zeit das Biest zu jagen, bevor wir Cornwall verlassen, Onkel."

Rhian sah seinen Neffen an. So nah verwandt, so ähnlich im Aussehen. Und doch so unterschiedlich. "Warum sollten wir das tun, Ellec? Das Fleisch der Katze können wir nicht gebrauchen und ein einzigartiges Biest erlegen nur um des gepunkteten Fells willen? Darauf kann ich verzichten. Ein zartes Reh oder ein fettes Wildschwein für meine Tafel. Das wäre etwas anderes..."

In den frühen Abendstunden des vierten Reisetages erreichten sie die Küste. Aus der Ferne konnte man bereits die Festung Tintagil sehen. Mit dem Banner des toten Herzogs über jedem Turm und Hunderten von Zelten und Lagerfeuern auf den Feldern vor den Toren der Burg. Über dem größten Zelt flatterte das königliche Banner. Uther hatte die Burg noch nicht betreten.


Bis zum Hochzeitsfest, zwei Wochen später, sollte Uther auch die Burg nicht betreten. Stattdessen hielt er Hof in seinem großen Feldherrenzelt, unter dem knatternden Drachenbanner, der Flagge des Pendragon.

Als Sir Rhian das Zelt seines Königs betrat war dieser gerade damit beschäftigt, Teile einer neuen Rüstung anzuprobieren. Ein schwerer Schuppenpanzer mit goldenen und roten Schuppen. Die Farben des Drachenbanners des britischen Hochkönigs.

"Ah, Rhian. Kommt herein und nehmt euch Wein. Leider kann ich gerade keinen meiner Pagen entbehren, sonst fällt mir diese fränkische Drachenhaut herunter. Was haltet ihr davon?"

"Majestät." Sir Rhian beugte das Knie vor dem König.

"Steht auf, Mann. Wenn ich keine Krone trage, dann bin ich auch nur ein Ritter. Und das Ding wird jeden Tag schwerer. Ist mein Hals schon kürzer geworden, was sagt ihr?" Mit seiner gepanzerten Hand betastete sich Uther am Hals, dann seufzte er und wand sich Rhian zu.

"Wie dem auch sei. Ich habe euch nicht rufen lassen, um die neueste Schlachtenmode zu begutachten oder die Länge meines Halses zu messen. Morgen ist das große Fest und wie ihr sicher wisst, wird dann von mir erwartet, dass ich meine verdienten und weniger verdienten Mannen mit Gold und Ehren überhäufe."

"So ist es Sitte." erwiderte Rhian.

"Euch werde ich zu einem meiner Barone erheben. Aber freut euch nicht zu früh. Ihr bekommt ein Stück von diesem Cornwall und mehr Pflichten als Freuden, scheint es mir."

"Eine Baronie?" Rhian erblasste. Damit hatte er nicht gerechnet.

"In erster Linie ist es ein Stück trostloses Moor, Camelford. Das einzig erfreuliche scheint mir die Legende von dem Biest, das dort leben soll. Ihr werdet dort eine Festung bauen. Ich habe mir sagen lassen, dass es dort eine dieser alten Hügelburgen geben soll. Vielleicht kann man damit etwas anfangen."

"Eine Burg bauen?" Rhian überschlug den Inhalt seiner Beutetruhen. 'Ob das wohl reichen mag um eine Burg zu bauen?'

"Ja, eine Burg. Im Süden sitzt König Idres. Die kornischen Stammesleute würden uns auch lieber heute als morgen verschwinden sehen und die Lehensleute des verräterischen Herzogs kann man auch nicht unbedingt zu unseren besten Freunden zählen. Ihr werdet früher oder später um diesen Flecken Erde kämpfen müssen. Da lohnt es sich, wenn man hinter festen Mauern sitzt. Ihr braucht Ritter. Fünf von meinen kann ich euch geben, ansonsten überlegt, wen ihr haben wollt und am Festabend schlage ich sie zum Ritter. Geht zu Bruder Wilibald, er hat das Schreiben und kann euch sagen, welche Pflichten mit dem Lehen einhergehen."

"Mein König." Rhian ging auf die Knie und wandte sich zum gehen.

In dieser Nacht lag er noch lange wach. 28 Ritterdienste schuldete seine Baronie dem König. 28 Ritter. Einer davon war er selbst, Ellec wäre ein zweiter. Fünf vom König. Bleiben noch immer 21 neue Ritter. Auf keinen Fall würde seine Beute reichen, um 21 Ritter auszustatten. Aber konnte er sich auf die Loyalität von Männern verlassen, deren Familien wohlhabend genug waren, um ihnen ihre Ausstattung zu zahlen?

Müde stand er wieder auf und rief nach Gwyn, seinem Knappen. Auch er war ein Sohn seines Bruders Riderch. 'Alt genug ist er. Kämpfen kann er auch und ob er zu seiner Familie oder zu seinem Herrn loyal ist kann mir egal sein, schließlich ist er mein Neffe. Er kommt auf die Liste.'

Verschlafen und nur mit einem Hemd bekleidet stolperte der Knappe in das Zelt. "Was wünscht ihr, Onkel?"

"Geh und hol mir den Mönch, Bruder Odwen, der vor ein paar Tagen für mich Schreibdienste erledigt hat. Ich brauche eine Liste."

"Jetzt?" verdutzt sah ihn sein Neffe an.



Malory I: Malory, Sir Thomas. Die Geschichten von König Artus und den Rittern seiner Tafelrunde. Erster Band. Übertragen von Helmut Findeisen auf der Grundlage der Lachmannschen Übersetzung. Insel Verlag, 1977.

Bild: King Arthur’s Castle Off Tintagel Head, Cornwall. Quelle: Wikimedia Commons.

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