Dienstag, 16. Juli 2013

492, Sommer - Sir Gwyn


Da kam ein Bauer […] und erzählte […], [da] hause ein mächtiger Riese, der schon viele Menschen des Landes erschlagen, gemordet und verschlungen habe und der sich seit sieben Jahren von den Kindern einfacher Leute nähre, so daß alle Kinder umgebracht und ausgerottet seien. (Malory I, S. 188)

Gwyn betrachtete das große grüne Banner mit den goldenen Drachen Uther Pendragons darauf und das kleinere rote Banner seines Onkels. Das mit dem Biest von Bodmin, der gefleckten goldenen Katze, die Rhian sich zum Wappen genommen hatte, als er an Pfingsten mit der Baronie Camelford belehnt wurde. Er war sich nicht sicher, ob das Biest nicht nur eine Legende war. Gesehen hatten sie es jedenfalls noch nicht.

Seit zwei Wochen lagerte er mit seiner kleinen Truppe in Lakefield, einer kleinen Ansammlung von Häusern an einem trüben See. Es war Gwyns erstes Kommando. König Uther hatte ihn an Pfingsten zum Ritter geschlagen und Onkel Rhian, nein, Baron Camelford, wie er jetzt ja hieß, hatte ihn in seine Dienste genommen. Er war es auch, der ihm den Auftrag gegeben hatte Tremaine, den Verwalter seines Onkels und Vater Uisdean nach Camelford zu geleiten. Sie sollten den Zustand des Lehens begutachten und einen geeigneten Platz für seine Burg finden.

Fünf junge Ritter mit ihren Knappen, 10 erfahrene Soldaten und ein halbes Dutzend Jäger. Nicht schlecht für einen Ritter der noch vor einem halben Jahr nur ein Knappe ohne große Aussicht auf den Ritterschlag war.

„Eigentlich sollte ich dem alten Herzog für seine Rebellion dankbar sein.“ murmelte Gwyn vor sich hin.

„Was sagt ihr, mein Herr?“ Vater Uisdean hockte vor dem kleinen Lagerfeuer und begutachtete den Inhalt des Kessels der darüberhing. Der hagere Priester hatte immer Hunger. An seiner dunkelgrauen Kutte konnte Gwyn die Spuren von mehr Mahlzeiten sehen, als sie seit ihrem Aufbruch aus Tintagil gehabt hatten. Ein Wunder, dass der Mann nicht rund wie eine Kugel war.

„Es ist mir gelungen unserem Gastgeber ein fettes Huhn abzuschwatzen. Wollt ihr einen Flügel, Sir Gwyn?“

Sir Gwyn. Das hatte einen guten Klang. Er hoffte nur, dass er sich des Vertrauens würdig erweisen würde, dass sein Onkel in ihn gesetzt hatte.

„Huhn?“ fragte er geistesabwesend, „Habt Dank, aber ihr seht aus, als schafft ihr das Tier auch ohne meine Hilfe, Vater.“

Was war da hinten los? Gwyn ließ den Priester und sein Huhn zurück und ging zum Rand des provisorischen Lagers, das sie auf der Weide eines der Bauern von Lakefield errichtet hatten. An dem Baumstamm, der ihnen als Tor diente war einer seiner Soldaten in eine Diskussion mit einem Einheimischen verwickelt. Seine Soldaten? Nein. Natürlich die seines Onkels.

„Was gibt es hier?“ fragte er den Soldaten. Wie hieß er noch? Es war keiner der Männer, die bereits vor Terrabil mit seinem Onkel gekämpft hatte.

„Der Bauer hier hat ein Märchen, das er euch gerne erzählen möchte, mein Herr. Ich sagte ihm, dass ihr keine Zeit für Märchen habt, aber er will einfach nicht abziehen. Soll ich ihm Beine machen?“ fragte er mit der Hand sein Schwert tätschelnd.

„Nein. Laßt gut sein, ich kümmere mich darum.“ Gwyn wandte sich dem Bauern zu. Keiner von hier. Das Gesicht war ihm unbekannt und die Kleider sahen nach einer längeren Wanderung aus. „Ich höre euch zu, Mann. Erzählt mir euer Märchen.“

Und der Bauer erzählte...

Zwei Tage später folgten fünf Ritter, ihre Knappen und zwei der Soldaten dem Mann auf einem Wildpfad in das Moor hinein. Gwyn fragte sich, was an der Geschichte des Bauern wohl dran war. Der Riese von dem er erzählt hatte war vermutlich nur ein ziemlich großer Kerl, vielleicht ein Sachse. Ob er seine Tochter geraubt hatte oder ob sie freiwillig mitgegangen war, das würde sich herausstellen. Was Gwyn wirklich interessierte, war, dass der Riese in einer Burg des alten Volkes leben sollte. Mit Glück war das das alte Hügelfort, das er für seinen Onkel suchen sollte.

Als sie am Mittag Rast machten um von den getrockneten Würsten und dem harten Brot zu essen, das sie mitgebracht hatten konnten sie ihr Ziel bereits sehen. Inmitten von brackigen Tümpeln erhob sich ein Hügel umgeben von drei konzentrischen Gräben und dahinter aufgeworfenen Erdwällen. Auf dem obersten Erdwall konnte Gwyn die Reste einer Bruchsteinmauer erkennen. Dem Zustand nach schon lange unbewohnt, doch zeigte eine dünne Rauchfahne ein offenes Feuer auf dem Hügel an. Soviel von der Geschichte hatte sich also schon einmal bestätigt.

Nach einer kurzen Pause setzten sie ihren Weg zum Fuß der Hügelfestung fort. 

"Gräben und Wälle müssen wiederhergestellt werden und die Krone braucht eine neue Mauer oder eine hölzerne Palisade. Sonst kann man es sicher schlechter treffen. Das sumpfige Umland und der steil ansteigende Hügel sichern die Festung zusätzlich. Baron Rhian wäre gut beraten hier seine Burg zu errichten." Nennius, der junge römische Ritter aus Isca Dumnonium war der Sohn des Kommandanten von Uthers Belagerungsspezialisten und hatte viel von seines Vaters Handwerk gelernt.

"Sir Nennius, nehmt Abhainn und das Banner des Königs und schaut einmal nach, wer da oben haust." 

Am liebsten wäre Gwyn selbst als Erster hinauf geritten. So beschränkte er sich darauf, den Römer und seinen Bannerträger dabei zu beobachten, wie sie die gewundene Rampe zum Hügel hinauf ritten.

Dann bellten die Hunde. Nicht ihre, die hatten sie mit den Jägern im Lager gelassen. Kurz darauf tauchte er über der verfallenen Mauer auf. Mehr als zwei Mann hoch, in Pferdefelle gehüllt und einen Hut aus dem Kopf eines Pferdes auf dem breiten Schädel. In seinen Händen ein Felsbrocken halb so groß wie ein ausgewachsener Mann den er nach Nennius warf. Der Römer versuchte noch sein Pferd herumzureißen, da zertrümmerte der Brocken schon den Kopf des Tieres. Sein Bannerträger riss die Zügel herum und gab seinem Pferd die Sporen.

"Knappe! Dein Pferd!" Gwyn packte die Zügel aus der Hand seines Knappen und trieb seinen Courser an. 

Nennius hatte sich gerade von seinem toten Reittier befreit als ein zweiter Felsbrocken krachend neben ihm niederging. Panisch rannte er die Rampe herunter. Viel zu langsam, dachte er. Ein Treffer und mir geht es wie dem Tier.

Ein dritter Fels verfehlte ihn nur knapp, da war auch schon Gwyn vor ihm mit dem Pferd seines Knappen in der Hand. "Steigt auf!"

Der Römer sprang mit einem gewandten Satz auf das Pferd und beide Ritter trieben die Sporen in die Seiten ihrer Tiere.

Erst als sie gut aus der Reichweite der steinernen Geschosse waren zügelte Gwyn seinen Braunen. "Ein Riese! Bei Gott, das war eines der Monster aus der Vorzeit!"

"Was nun? Im Sturm werden wir die Festung gegen einen Riesen nicht nehmen können." Nennius begutachtete seine Hand in die ein Splitter eine blutige Schramme gerissen hatte.

"Abhainn! Umrundet den Hügel und seht, ob es noch einen anderen Weg hinauf gibt. Ihr Ritter, rüstet euch und haltet euch bereit. Ich glaube zwar nicht, dass das Untier aus seiner Festung heraus kommen wird, aber wer weiß was in solch einem Schädel vor sich geht."

Die Nachrichten, die der Soldat nach einer guten Stunde zurückbrachte waren nicht gut. Nur an zwei Stellen konnte man den Hügel erreichen ohne durch die sumpfigen Tümpel zu waten. An beiden Stellen führten Rampen hinauf. An der großen Rampe zum Haupteingang der Festung hatten sie sich bereits eine blutige Nase zugezogen und die andere war zu schmal, als dass mehr als ein Mann gleichzeitig hinauf konnte und zu steil als dass sie ein Pferd hinauf reiten konnten. Ein Sturmangriff auf den Riesen war aussichtslos, damit hatte Nennius recht. Eine Nachricht mit der Bitte um Verstärkung an seinen Onkel schicken würde jedoch bedeuten, dass dies für lange Zeit Gwyns letztes Kommando sein sollte.

"Wir warten auf die Nacht und versuchen dann hinaufzuschleichen. Auch ein Riese muss ja sicher einmal schlafen." sagte er seinen Rittern und hieß die Knappen Zelte errichten.

Doch auch der Angriff in der Nacht scheiterte. Sie hatten kaum die Rampe erreicht als die wilden Hunde des Riesen laut kläffend die Beine ihrer Pferde attackierten und sie sich zurückziehen mussten bevor die ersten Steinbrocken flogen.

Als Gwyn am Morgen erwachte und sich den Schlaf aus den Augen rieb saß eine fremde Frau allein an ihrem Lagerfeuer und sah ihn verschmitzt an.

"Eure Wachposten taugen nichts, Herr Ritter. Wenn ich gewollt hätte, dann hätte ich euch die Kehle aufschlitzen können und wäre davon spaziert lange bevor irgend jemand es bemerkt hätte." Die schlanken Finger ihrer linken Hand lagen auf dem Griff eines Dolches.

Gwyn setzte sich auf und sah die Frau an. Gekleidet wie einer der kornischen Stammeskrieger. Kupferrotes Haar unter einem bronzenem Helm und ein Speer lag griffbereit neben ihr. "Wer seid ihr? Und was wollt ihr von mir?"

"Ich bin Scota, die Tochter Carrs, des Häuptlings der Marschleute. Ich bin hier, um euch meine Hilfe anzubieten." 

Die Frau beobachtete Gwyn aus blitzend grünen Augen. Hässlich war sie nicht. "Was habt ihr mir für Hilfe anzubieten?"

"Für einen Preis bringe ich euch und eure Pferde dort hinauf, mein Herr Ritter."

"Verschwendet meine Zeit nicht, Weib. Wie wollt ihr das anstellen und ... was wollt ihr dafür?" Ob sie ihn wirklich da hinauf bringen konnte? Seine Wachen zu umgehen war eine Sache, aber den Riesen mit seinen Hunden konnte sie nicht so leicht täuschen.

"Mein Preis ist einfach. Der Riese, Ox nennt er sich, hat in den vergangenen Monden ein paar Frauen geraubt. Fünf von ihnen leben noch und wenn ihr sie befreit werden ihre Familien sie nicht wieder aufnehmen und einen Mann werden sie bei den Leuten hier auch nicht finden. Ihr seid fünf Ritter und ich will, dass ihr mir versprecht, dass jeder von euch eine der Frauen zur Frau nehmen wird."

Verwirrt sah Gwyn die Frau an. "Ihr verlangt viel für eure Hilfe. Mehr als ich euch versprechen kann. Wir sind Garderitter des Barons von Camelford und ohne seine Zustimmung dürfen wir uns keine Frau nehmen."

"Dann versprecht, dass ihr ihn um seine Zustimmung bitten werdet. Wenn ihr ihm den Kopf von Ox dem Riesen vor die Füße legt wird er euch kaum diese Bitte verwehren."

"Das will ich euch gerne versprechen." und seine Gefährten versprachen auch.

Den Tag über hielten sie Ox den Riesen auf Trab. Immer wieder ritt einer auf die Hügelburg zu und drehte dann wieder ab, wenn der Riese sein hässliches Gesicht über der Mauer zeigte.

In der Nacht schlich Scota hinauf in die Burg. Gwyn und Nennius beobachteten den Eingang der Burg im trüben Licht des Halbmonds. "Die Frau ist gut, Sir Gwyn. Die verdammten Hunde haben keinen Laut gegeben."

"Es ist eines, dass die Frau hinauf schleicht. Doch wie will sie uns und unsere Pferde an den Hunden vorbei bekommen? In Kettenhemden schleicht es sich nur schwer und ohne Kettenhemd mit dem Riesen zu kämpfen kommt einem Selbstmord gleich."

"Werte Herren, seid ihr bereit?" Scotas Stimme ließ die beiden Ritter erschrocken herumfahren und nach ihren Schwertern greifen. Sie hatten die Frau weder vom Hügel herab kommen sehen, noch gehört, wie sie hinter sie trat.

"Die Hunde schlafen und Ox der Riese schnarcht lauter als ein Löwe brüllt. Führt eure Männer und eure Pferde hinauf, doch seid auf der Hut. Ox hält sich eine kleine Herde von Wildpferden. Scheucht ihr diese auf, dann erwacht auch der Riese." Mit federnden Schritten ging die junge Frau den Weg zur Rampe voran.

Die fünf Ritter folgten ihr und die Knappen der Ritter stolperten hinter ihnen her. Während sich im Osten die ersten Vorboten der heraufziehenden Morgenröte zeigten versuchte Gwyn auszumachen, was er von seiner Umgebung erkennen konnte.

Ein großes Lagerfeuer war bis auf die letzte Glut herab gebrannt. Daneben die abgenagten Knochen eines Pferdes. Unter einem groben Holzverschlag, bezogen mit Pferdefellen lag der Riese schnarchend, ein gewaltiger Hammer neben ihm.

Leise flüsternd fragte Nennius ob sie den Riesen im Schlaf erschlagen sollten, als einer der Knappen eine Lanze fallen ließ und die Wildpferde, die auf dem ganzen Gelände der Hügelburg verteilt waren ein helles Wiehern von sich gab. Behender als man es dem Riesen zugetraut hätte kam Ox auf die Beine, seinen Hammer drohend schwingend.

Als er die Männer sah gab er ein unmenschliches Brüllen von sich und rannte auf sie zu.

"Sitzt auf! Verteilt euch! Lenkt ihn von den Knappen ab!" rief Gwyn und schwang sich auf seinen Courser. Seine Lanze anschlagend gab er dem Pferd die Sporen und griff den Riesen an. Der schwang seinen Hammer um Gwyn den Schädel zu zertrümmern, doch verlor er den Griff darum und sandte den Hammer fliegend über dessen Kopf hinweg. Gwyns Lanze verfehlte ihr Ziel nicht und brachte dem Riesen eine Wunde bei, die einen normalen Gegner unweigerlich getötet hätte. Halb blieb sie in der Seite des Monsters stecken, die andere Hälfte warf Gwyn von sich.

In kurzem Abstand nacheinander griffen zwei weitere Ritter mit ihren Lanzen an, doch keiner konnte den Riesen treffen. Nennius und einem weiteren Ritter gelang es jedoch den Riesen zu treffen und ihre Lanzen an ihm zu zerbrechen. Doch noch immer wollte der Koloss nicht schwächer werden.

Während Gwyn nach seinem Knappen rief um sich neu zu bewaffnen griffen Tyree, der Ritter von den südlichen Inseln und Cambell erneut an. Ox traf Tyree mit seiner gewaltigen Faust direkt an der Schläfe und zertrümmerte den Schädel des jungen Mannes. Cambell erwischte er im Brustkorb und sandte ihn fliegend von seinem Pferd. Doch bevor der Riese den gefallenen Ritter erreichen konnte rammte Gwyn den Schaft seiner zweiten Lanze in sein Bein.

Ein weiterer Angriff blieb erfolglos, dann gelang es Nennius seine Lanze tief in die Brust des Monsters zu stoßen. Röchelnd ging der Riese zu Boden und blieb in einer Lache seines Blutes liegen.

In wenigen Minuten war alles vorbei. Sir Tyree tot, der zertrümmerte Schädel mit seinem Mantel bedeckt. Sir Cambell notdürftig versorgt, doch noch immer bewusstlos und in kritischem Zustand. Ox den Riesen hatten sie geköpft. Eine Tat, die gut ein Dutzend Schläge mit dem Schwert gebraucht hat.


Angekettet an einen Baum fanden sie die fünf Frauen von denen Scota gesprochen hatte. Die Frauen, um deren Hand sie den Baron von Camelford zu bitten versprochen hatten.


Malory I: Malory, Sir Thomas. Die Geschichten von König Artus und den Rittern seiner Tafelrunde. Erster Band. Übertragen von Helmut Findeisen auf der Grundlage der Lachmannschen Übersetzung. Insel Verlag, 1977.

Bild: Ottavio Vannini. The Triumph of David.

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